Friedensnobelpreis 1907: Ernesto Teodoro Moneta — Louis Renault

Friedensnobelpreis 1907: Ernesto Teodoro Moneta — Louis Renault
Friedensnobelpreis 1907: Ernesto Teodoro Moneta — Louis Renault
 
Ernesto Moneta wurde für die Gründung der italienischen Friedensgesellschaft geehrt, Louis Renault für seine Verdienste um die Haager Friedenskonferenzen.
 
 Biografien
 
Ernesto Teodoro Moneta, * Mailand 20. 9. 1833, ✝ Mailand 10. 2. 1918; 1867-96 Herausgeber der Zeitung »Il secolo«, 1887 Gründer der »Unione Lombarda«, 1898 Gründung der Zeitschrift »La vita internazionale«.
 
Louis Renault, * Autun 21. 5. 1843, ✝ Barbizon 8. 2. 1918; 1881-1918 Professor für Völkerrecht an der Universität Paris, 1899-1913 Mitglied des Ständigen Schiedshofs in Den Haag.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Im Jahr 1907 zeichnete das Nobelpreiskomitee zwei höchst unterschiedliche Persönlichkeiten mit dem Friedensnobelpreis aus. Nur sehr wenig verband den Italiener Ernesto Moneta und den Franzosen Louis Renault in der Art und Weise ihres Engagements für den Frieden.
 
 Italienischer Freiheits- und Friedenskämpfer
 
Louis Renault galt allgemein als ein verdienter Preisträger. An Ernesto Moneta hingegen schieden sich die Geister. Seine Leistungen für den Frieden waren unbestritten, doch irritierten sein Nationalismus und sein Patriotismus ebenso wie seine häufig vorgetragene Auffassung, dass es einem Volk erlaubt sein müsse, seine Freiheit auch mit Waffengewalt zu verteidigen. Diese zwiespältige Haltung des, wie man ihn immer wieder genannt hat, »militanten Pazifisten« Moneta hat viel mit seiner persönlichen Biografie zu tun. Aufgewachsen war Moneta in einer Zeit, in der Italien zersplittert war und seine lombardische Heimat unter der Herrschaft der habsburgischen Österreicher stand. Schon als Jugendlicher leistete Moneta den fremden Besatzern aktiven Widerstand. Später schloss er sich dem italienischen Freiheitskämpfer Giuseppe Garibaldi an. 1866 verließ Moneta das Militär und wurde ein Jahr später Herausgeber der Mailänder Zeitung »Il secolo«.
 
Diese Zeitung bildete bis 1896 die Grundlage für Monetas publizistische Aktivitäten. Mit seinen Berichten und Kommentaren unterstützte er die 1870 endlich vollzogene Einigung Italiens. Zum Pazifismus führte ihn die Sorge um die zukünftige Rolle des vereinigten Italiens im Konzert der europäischen Staaten. Frieden war für ihn kein Wert an sich, sondern Garant für den Bestand des neuen Italiens. »Il secolo« wurde zum Forum seiner leidenschaftlichen Appelle für die Aussöhnung der Völker und entwickelte sich damit zur einflussreichsten Zeitung Italiens. 1887 gründete der patriotische Pazifist Moneta die »Unione Lombarda«, die wichtigste italienische Vereinigung für Frieden und Schiedsgerichtsbarkeit. 1890 erschien unter seiner Leitung erstmals die Zeitschrift »L'amico della pace« (»Der Friedensfreund«). 1891 wurde er der Vertreter Italiens in dem von Elie Ducommun (Nobelpreis 1902) gegründeten »Internationalen Ständigen Friedensbüro«. 1896 gründete Moneta die Zeitschrift »La vita internazionale« (»Das internationale Leben«), in der er für einen friedlichen Ausgleich zwischen Italien und Frankreich eintrat. 1903 erschien der erste Band seines literarischen Hauptwerks »Die Kriege, die Aufstände und der Friede im 19. Jahrhundert«. Hier kam der einstige militante Kämpfer für die Freiheit Italiens zu der Erkenntnis, dass der Krieg keine Lösung für internationale Konflikte biete.
 
Als er 1907 den Friedensnobelpreis erhielt, würdigte ihn das Komitee als den »wichtigsten italienischen Repräsentanten« der internationalen Friedensbewegung. Doch bald schienen jene Kritiker Recht zu behalten, die an seinem Friedenswillen gezweifelt hatten. Denn 1911 unterstützte er den imperialistischen Kurs der italienischen Regierung gegen die Türkei im Konflikt um Nordafrika. Und auch Italiens Eintritt in den Ersten Weltkrieg fand seine volle Unterstützung. Selbst seine Freunde und Anhänger wussten ihn nicht recht einzuordnen. Als sie ihm 1925 ein Denkmal errichteten, ehrten sie gleichermaßen den Partisanen im Dienste Garibaldis und den Friedensapostel.
 
 Vorkämpfer des Völkerrechts
 
Louis Renault war eine absolute Kapazität auf dem Gebiet des internationalen Rechts. Von 1881 bis zu seinem Tod 1918 bekleidete er den renommierten Lehrstuhl für Völkerrecht an der Pariser Universität. Unzählige Publikationen wiesen ihn als den führenden Experten Frankreichs in Fragen der internationalen Beziehungen aus. So war es keine Überraschung, dass Renault 1890 von der französischen Regierung auf den neu geschaffenen Posten eines juristischen Beraters in außenpolitischen Angelegenheiten berufen wurde. Die Einrichtung einer solchen Position erschien notwendig, weil die zwischenstaatlichen Beziehungen im Verlauf des 19. Jahrhunderts komplexer geworden waren und es daher zu ihrer Regelung zunehmend juristischen Sachverstands bedurfte. Nach seiner Ernennung wurde Louis Renault zu einem regelmäßigen Vertreter Frankreichs bei internationalen Konferenzen. Zahlreiche Streitfälle konnten dank seines Engagements beigelegt werden.
 
Die größte und 1907 vom Nobelpreiskomitee besonders hervorgehobene Wirkung erzielte Renault jedoch durch seine Verdienste bei den Haager Friedenskonferenzen. 1899 fand im niederländischen Haag die erste dieser Tagungen statt. Allein der Umstand, dass eine solche Konferenz überhaupt zustande kam, konnte als ein Erfolg gewertet werden. Vertreter von 26 Staaten diskutierten über Fragen der Abrüstung und über die Möglichkeit, internationale Konflikte auf dem Wege der Schiedsgerichtsbarkeit beizulegen. Als Repräsentant Frankreichs erarbeitete Renault wesentliche Prinzipien des Seekriegsrechts. Bei der zweiten Haager Konferenz von 1907, an der nun bereits 44 Staaten teilnahmen, spielte der französische Völkerrechtler wiederum eine tragende Rolle.
 
Die erste Haager Konferenz hatte auch die Einrichtung eines Ständigen Schiedshofs als einer Anlaufstelle für die friedliche Beilegung internationaler Streitfälle beschlossen. Die Berufung Renaults in dieses Gremium stellte eine weitere Anerkennung seiner überragenden Stellung als Experte für internationales Recht dar. 14 Jahre lang war Renault als Mitglied des Ständigen Schiedshofs an der Schlichtung zahlreicher Konflikte beteiligt, so etwa 1909 in einem Streit zwischen Deutschland und Frankreich um Casablanca.
 
Nicht große Visionen sind es gewesen, die den Friedenspolitiker Renault auszeichneten. Der Jurist verstand sein Wirken immer als eine nüchterne und pragmatische Angelegenheit. Und er machte sich auch keine Illusionen über eine Welt im Frieden. Selbst in seiner Dankesrede nach der Verleihung des Friedensnobelpreises gab er sich realistisch. Eine friedliche Welt, so führte Renault aus, müsse zwar das Ziel internationaler Politik sein, doch sei der Frieden eben nur eine Möglichkeit, und man müsse auch für den Krieg gewappnet sein. Doch hatte er immerhin die Hoffnung, die Welt dadurch etwas sicherer zu machen, dass man die Staaten an die Prinzipien des Rechts band.
 
H. Sonnabend

Universal-Lexikon. 2012.

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